„Nicht unseren Markenkern verlieren“
Wechsel im Ostwerk-Vorstand: Johannes Leicht gibt Vorsitz des Landesverbandes ab
Er hat das CVJM-Ostwerk zwölf Jahre lang geprägt: Johannes Leicht (40) trat auf der Delegiertenversammlung des CVJM-Landesverbandes Berlin-Brandenburg im November von seinem Amt als Vorsitzender zurück. Im Interview erklärt der promovierte Historiker, wo er den CVJM in der Zukunft sieht.
Johannes, Du bist promovierter Historiker und hast auch die Geschichte des CVJM-Ostwerks aufgearbeitet. Wo verortest du dich in dieser Geschichte?
Als ein Teil von vielen. Es gibt keinen besonderen Platz, den ich mir da zuordnen würde.
Anders gefragt: Was denkst du, hast du bewegt?
Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Mir hat es imponiert zu erkunden, wie Menschen in der Vergangenheit mit ihren Herausforderungen umgegangen sind – oder auch nicht. Es gibt Situationen des Scheiterns, auch im CVJM-Ostwerk. Wenn ich jetzt zurückblicke auf die zwölf Jahre als Vorsitzender, dann ist doch Vieles gelungen. Inhaltlich, strukturell, personell oder bei unseren Häusern hat sich vieles positiv entwickelt. Für andere Dinge war schlichtweg die Zeit nicht reif, manches ist auch liegen geblieben.
Du stammst aus Sachsen, hast dir für deinen Zivildienst aber den CVJM Berlin ausgesucht. Warum?
Ich wollte keinen Zivildienst im Krankenhaus oder im Altenheim machen. Da blieb dann nicht mehr viel übrig. Den CVJM fand ich reizvoll. Mein Bruder hatte seinen Zivildienst beim CVJM in München gemacht, und er hatte erzählt, wie schön es dort war. Ich kannte den CVJM Berlin nicht, und wusste deshalb auch nicht, worauf ich mich wirklich einließ. Ich habe die Berliner einfach angeschrieben, dann haben wir uns im CVJM-Haus in Dörflas getroffen. Ich habe „ja“ gesagt, und sie haben „ja“ gesagt. Und dann war ich verantwortlich für das Jugendhaus in Marzahn, für die alte Kita noch, bevor das neue Haus gebaut wurde. Ich habe das sehr genossen, diese Freiheit im CVJM und die Möglichkeiten, Jugendarbeit mit zu gestalten.
Und deswegen bist du geblieben.
Genau! Meine Frau und ich, wir sind dann nach Potsdam gezogen und haben dort 2000 den CVJM Potsdam mitgegründet. Dort war ich dann auch im Vorstand.
Du hast den Vorsitz des Landesverbandes übernommen, als du 28 Jahre alt warst. War dein relativ junges Alter jemals ein Problem?
Es gab damals die Überschrift im CVJM Life-Magazin: „Der jüngste Vorsitzende in einem CVJM-Landesverband“ (lacht). Mir hat man das nicht als Problem angetragen, und ich selbst hatte damit auch keins.
Vermutlich auch wegen deiner bodenständigen Art. „Der war nie ein Flippi“, hat jemand gesagt, der dich schon seit deiner Zivi-Zeit kennt.
Stimmt. Ich bin kein „Flippi“. Ich bin keiner, der eher emotional reagiert. Dass man mich daher als „brav“ erlebt hat, kann also durchaus sein.. Ich bin in der Regel besonnen und überlege, wie ich meine Ziele erreiche. Dafür stecke ich auch vordergründige Niederlagen ein, wenn ich am Ende dann doch erreiche, was ich oder was wir als Vorstand erreichen wollten.
Du bist verheiratet und hast vier Kinder. Wie ließen sich dein Ehrenamt, deine berufliche Selbstständigkeit und deine Familie miteinander vereinbaren?
Das frage ich mich auch manchmal. Die verschiedenen Verantwortlichkeiten muss man organisieren, und es gehört Gottes Gnade dazu. Meine Frau hat mein CVJM-Engagement stets unterstützt. Unsere Kinder sind wenig krank und alle sehr selbstständig. Das gibt uns Freiheiten, die andere Eltern manchmal nicht haben, weil ihre Kinder mehr Zeit einfordern. Außerdem musste ich lernen, „nein“ zu sagen. Es gab viele Dinge, die habe ich aus Zeitgründen nicht machen können. Zum Beispiel samstags zu einer CVJM-Veranstaltung vor Ort zu fahren. Solche Aufgaben haben wir im Vorstand dann meist untereinander verteilt. Der Vorsitzende muss ja nicht auf jeder Hochzeit tanzen. Und beruflich habe ich zu keiner Zeit eine 100-Prozent-Stelle gehabt. Es bedeutet mir nichts, beruflich Karriere zu machen. Ich arbeite, um Geld zu verdienen, die Familie zu ernähren und in den Urlaub fahren zu können. Ich mache meine Arbeit gern und gewissenhaft und freue mich, wenn sie bei den Kunden auf Zustimmung stößt. Aber die Sinnhaftigkeit im Leben resultiert bei mir aus meinem Engagement in Kirche, im CVJM, aus dem Miteinander mit den Menschen und nicht aus dem, was ich beruflich leiste.
Was hat dich bewogen, den Vorsitz über eine so lange Zeit zu machen?
Mir hat das Freude bereitet. Mit dem Vorstand, mit den Menschen zusammen versuchen, die Wege zu ebnen, Dinge zu gestalten, Neues zu wagen. Es gab zwischenzeitlich auch nie eine Phase, in der ich dachte, ich habe keine Lust mehr oder in der ich von außen gemerkt habe, ich schaffe es nicht mehr. Es ist ja manchmal so, dass es einfach nicht mehr geht, wenn man zum Beispiel Eltern zu pflegen hat. Lange hatte ich die Gewissheit: Ich bin hier am richtigen Platz, Hier ist mein Auftrag.
Während deiner Zeit als Vorsitzender haben zwei Leiter das CVJM-Ostwerk verlassen. Du hast mir einmal gesagt: Diese Situationen hätten dich auch persönlich gefordert und mitgenommen. Ganz ehrlich: Hattest du manchmal Momente, in denen du gesagt hast: „Ich schmeiß jetzt hin“?
Es gab ganz wenige Situationen, in denen ich mir vorab meine Grenzen klar abgesteckt habe: Bis dahin gehe ich, das vertrete ich mit gutem Gewissen, aber zu mehr kann ich nicht zustimmen. Es ist wichtig, seine Grenzen zu kennen. Ich hätte mich nicht selbst verleugnet, wenn die Gremien Beschlüsse gefasst hätten, die ich nicht hätte mittragen können. Eine Situation, dass ich hinschmeißen wollte, hat es aber nicht gegeben. Ich bin schon ein Kämpfer für meine Positionen und wenn’s drauf ankommt, sehe ich auch zu, dass ich eine Mehrheit für sie bekomme.
Was waren Höhepunkte in deiner Zeit als Vorsitzender?
Ein Höhepunkt war sicherlich das TEN SING Musical im vergangenen Jahr. Wir haben im Vorstand viel darüber geredet – über die Finanzierung, über Spenden, über Drittmittel. Das war bisweilen auch ein mühsamer Prozess, aber dann am Ende das Ergebnis auf der Bühne zu sehen, das hat mich total fasziniert. Diese Kreativität, diese Freude, diese Ausstrahlung. Ich habe gedacht, da sind schon tolle Menschen im CVJM unterwegs. Im überregionalen Landesverband ist man nicht immer so nahe an der Basis. Aber das Musical war ein Punkt, bei dem wir hautnah erleben konnten, welche positiven Folgen lange Vorstandsdebatten und -beschlüsse haben können.
Wir leben in turbulenten gesellschaftlichen Zeiten. Wohin sollte sich der CVJM entwickeln?
Woran ich versucht habe immer festzuhalten, ist das „C“ in unserem Namen. Christus am Anfang. Wir sind ein christlicher Jugendverband und nicht nur ein Jugendverband unter vielen. Was uns auszeichnet, ist ein christliches Menschenbild, sind christliche Werte, wir sammeln junge Menschen unter dem Kreuz zusammen, um die Frohe Botschaft weiterzugeben: Sammeln und Senden – das ist aus meiner Sicht das Kernanliegen des CVJM. Es gibt viele Dinge, die sich drum herum gruppieren. Die sind alle hübsch und alle nett, aber was wir nicht machen dürfen, ist unseren Markenkern zu verlieren. Dann werden wir beliebig. Ich glaube, in diesen Zeiten, in denen die politischen Ränder erstarken, sehnen sich Menschen eigentlich nach Zukunftsperspektiven. Als Christen haben wir die beste Zukunftsperspektive überhaupt: die gute Botschaft aus der Bibel. Darauf gilt es sich zu besinnen. Immer wieder neu.
Noch einmal nachgefragt: Vor allem im Osten Deutschlands findet rechtsnationalistisches Gedankengut wieder verstärkt Anklang, auch in der Mitte der Gesellschaft. Sollte der CVJM jetzt politischer werden?
Wir sind keine Partei. Der CVJM ist eine Bewegung, und die Bewegung bleibt flexibel. Politisch aktiv sein kann für uns bedeuten, den jungen Leuten eine Stimme zu geben, lokal und überregional. Da sind wir durchaus gefragt, uns lautstark einzusetzen in dieser pluralisierten Gesellschaft. Aber politisch zu engagieren in dem Sinne, dass wir zu jedem Thema Position beziehen, das ist nicht unsere primäre Aufgabe.. Die konkrete Arbeit mit den jungen Menschen vor Ort ist meines Erachtens viel wichtiger, als die veröffentlichte Debatte um ein weiteres Statement zu bereichern.
Was wünschst du dem CVJM-Ostwerk – auch vor dem Hintergrund, dass der Landesverband Berlin-Brandenburg schrumpft?
Für mich war die Größe eines Vereins oder eines Verbandes nie ein Kriterium für den Inhalt. Wir müssen das Spiel nicht mitspielen, dass wir uns irgendwann nur noch an Mitgliederzahlen orientieren. Wenn ich einen Zukunftswunsch formulieren dürfte, dann wäre es, an Jesus zu bleiben. Ich glaube, dort liegt die Zukunft: unsere Arbeit immer wieder neu an Jesus auszurichten und vielleicht in den ländlichen Strukturen mit anderen Christen zusammenzuarbeiten, Bündnisse zu schmieden und zu sagen: Wir wollen gemeinsam etwas für das Reich Gottes bewegen. Da sehe ich auf dem brandenburger Land die größten Herausforderungen. Die Kirche zieht sich dort zurück, die Kirchenkreise werden immer größer, die Pfarrer immer weniger. In den Städten sieht das anders aus. Aber ich glaube, diese Regionen darf man nicht abhängen. Da haben wir eine Pflicht. Deshalb finde ich zum Beispiel den Blauen Bus im Oderbruch spitze, der von Dorf zu Dorf fährt und so Jugendarbeit in die Orte bringt.
Das Ehrenamt hat dich dein halbes Leben begleitet. Du gibst deinen Posten als Vorsitzender auf. Was folgt jetzt?
Ich bin schon seit zwei Jahren bei uns in Potsdam in der Gemeindeleitung. Ein solches Mandat habe ich zuvor immer wieder abgelehnt. Dann gab es verschiedene Entwicklungen in unserer Gemeinde, bei denen ich gespürt habe, ich kann mich der Verantwortung nicht mehr entziehen. Aber ich merke auch, es ist etwas anderes, in einer Ortsgemeinde Glaubensleben zu gestalten, wie als Vorsitzender einem überregionalen Landesverband mit kompetenten Vorstandskollegen/innen und hochengagierten Mitarbeitenden vorzustehen. Und dann ist da ja auch noch der CVJM Potsdam. Vielleicht entstehen dort neue Arbeitsmöglichkeiten, Perspektiven, Visionen, ohne dass ich da jetzt schon einen Plan hätte. Er liegt mir auf dem Herzen, weil dort einiges liegen geblieben ist.
Ich höre heraus, du bleibst dem CVJM verbunden...
Ja, ja (lacht). Ich bin ja immer noch CVJMer und Mitglied in drei Vereinen. So ganz ohne geht’s dann doch nicht.
Die Fragen stellte Sabrina Becker.